Aus dem Bechterew-Brief Nr. 55 (Dezember 1993)

Verleihung des Forschungspreises der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew an Dr. med. ELISABETH HERMANN, Universität Mainz

von Wolfgang Klimsch und Prof. Dr. rer. nat. Ernst Feldtkeller, München

"Die Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew bezweckt im besonderen . . . ,

Dieser Auszug aus der Satzung des Bundesverbands unserer Selbsthilfevereinigung verpflichtet uns, Forschungsarbeiten über die Ursachen und über die Möglichkeiten zur Bekämpfung unserer Erkrankung zu fördern. Da es uns selbst nicht möglich ist, aktiv an der Ursachenforschung mitzuwirken, wollen wir wenigstens einen Anreiz schaffen, die Forschung über unsere entzündliche Krankheit zu verstärken, und gleichzeitig unserer Dankbarkeit für besonders erfolgreiche Forschungs-Anstrengungen Ausdruck verleihen.
Aus diesem Grund hat die DVMB für 1993 Jahr einen Preis in Höhe von DM 20.000 "für die beste wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet des Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans)" ausgeschrieben, die entweder noch nicht veröffentlicht ist oder in den letzten 18 Monaten in deutscher Sprache veröffentlicht wurde. Nachdem (neben dem Bechterew-Brief Nr. 49) sehr viele medizinische und andere wissenschaftliche Zeitschriften die Ausschreibung veröffentlicht hatten, bewarben sich fünf Verfasser termingerecht um den Preis.
Gemäß den Ausschreibungs-Richtlinien wurde ein Kuratorium aus namhaften Wissenschaftlern gebildet, das die Aufgabe hatte, die eingegangenen Arbeiten zu bewerten und den Preisträger zu ermitteln. Dem Kuratorium für die Preisvergabe gehörten folgende Mitglieder an:

Das Kuratorium wählte Herrn Professor MATHIES zu seinem Vorsitzenden. Die DVMB war durch unsere Justitiarin Meike SCHOELER vertreten.
Die eingereichten Arbeiten wurden von den Mitgliedern des Kuratoriums durchgearbeitet und bewertet. Bei seiner Sitzung am 21. September 1993 entschied das Kuratorium, den Preis an Privatdozentin Dr. Elisabeth HERMANN von der Universität Mainz für ihre Habilitationsschrift

"Antibakterielle und autoreaktive Effektor-Mechanismen CD4-positiver, CD8-positiver und Gamma-delta-T-Zell-Rezeptor-positiver Lymphozyten in der Immunpathogenese HLA-B27-assoziierter Spondylarthritiden"

zu vergeben.

Der DVMB-Vorsitzende Wolfgang Klimsch überreicht
Frau Dr. Elisabeth Hermann die Urkunde des DVMB-Forschungspreises
Der damalige DVMB-Vorsitzende Wolfgang Klimsch überreicht
Frau Dr. Elisabeth Hermann bei der DVMB-Delegiertenversamm
-lung am 9. Oktober 1993 in Niederwerrn bei Schweinfurt die Ur
-kunde des DVMB-Forschungspreises
Laudatio:

Frau Dr. HERMANN ist Oberärztin an der I. Medizinischen Klinik der Universität Mainz. Sie leitet dort eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mitfinanzierte Projektgruppe, die die Immunpathogenese (die abwehrbedingte Krankheitsentstehung) bestimmter rheumatischer Erkrankungen untersucht.
(Anmerkung: Inzwischen Prof. Dr. Elisabeth Märker-Hermann, Chefärztin der Klinik für Innere Medizin IV, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden).
Elisabeth HERMANN begann ihr Medizinstudium an der Universität Mainz im Jahre 1976 und schloß es 1983 mit der Approbation zur Ärztin ab. Schon im Juli 1984 promovierte sie mit einer Doktorarbeit über die Basistherapie der chronischen Polyarthritis zum Doktor der Medizin. Doktorvater war der uns allen bekannte Pionier der Morbus-Bechterew-Forschung in Deutschland, Prof. Dr. Fritz SCHILLING. Schon seit dieser Zeit gilt das wissenschaftliche Interesse von Frau Dr. HERMANN den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen.
Die nächsten Stationen waren konsequenterweise Assistententätigkeiten in Bad Kreuznach, an der Rheumatologischen Universitätsklinik in Basel und schließlich an der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universität Mainz unter der Leitung von Professor Dr. med. K.-H. MEYER ZUM BÜSCHENFELDE. Hier waren Gastroenterologie (Magen-Darm-Kunde), Nephrologie (Nierenkunde) und natürlich vor allem die Rheumatologie ihre Arbeitsschwerpunkte. Bereits zu diesem Zeitpunkt ließ sie die Frage nach den Ursachen der rheumatischen Erkrankungen nicht mehr ruhen. Ihr Interesse für das höchst interessante und aktuelle Gebiet der immunologischen Forschung war geweckt.
Mit der preisgekrönten Arbeit hat sich Frau Dr. HERMANN habilitiert, d. h. die akademische Lehrbefugnis erworben.
Nicht unerwähnt bleiben soll, daß dem hoch dotierten Preis der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew bereits kleinere aber keineswegs unbedeutende wissenschaftliche Ehrungen vorausgingen: 1990 und 1991 wurde Frau Dr. HERMANN mit dem Young Investigators' Award (Jungforscherpreis) des Europäischen Workshop für Rheumatologische Forschung ausgezeichnet und 1991 außerdem mit dem Posterpreis der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie.
Den wichtigsten Teil ihrer Arbeit hat Frau Dr. HERMANN zusammen mit Prof. D. T. Y. Yu von der Kalifornischen Universität in Los Angeles, Prof. K.-H. Meyer zum Büschenfelde und Prof. B. Fleischer von der Universität Mainz  bereits in der Zeitschrift The Lancet veröffentlicht (Ausgabe 342 vom 11. September 1993, Seite 646–650). Diese Veröffentlichung hat unter Immunologen anderer Institute erwartungsgemäß großes Aufsehen erregt.

Wie wir alle wissen, sind die Ursachen des Morbus Bechterew bis heute leider nicht bekannt. Behandelt werden deshalb lediglich die Symptome wie Schmerzen, Entzündungen und die daraus folgenden Versteifungen. Es ist also weder möglich, das Leiden an der Wurzel zu packen und die Ursache zu behandeln, noch ist es derzeit möglich, dieser Erkrankung vorzubeugen.
Seit 20 Jahren ist bekannt, daß der Morbus Bechterew und verwandte rheumatische Erkrankungen gehäuft bei Menschen vorkommen, die das Erbmerkmal HLA-B27 tragen. Aber allein die besondere Empfänglichkeit der Träger dieses Merkmals für die Erkrankung erklärt nicht die Entstehung der Erkrankung, da auch gesunde Menschen Träger dieses Erbmerkmals sein können.
Frau Dr. HERMANN ist es erstmals gelungen, nachzuweisen, daß neben erblichen Merkmalen im entzündeten Gewebe bestimmte Immunzellen, sogenannte Killerzellen, an der Krankheitsentstehung beteiligt sind. Mit dem aufwendigen Verfahren der "klonalen Analyse" einer großen Zahl von T-Zellen gelang es ihrem Team, in der Gelenkflüssigkeit entzündeter Gelenke von 4 Patienten mit reaktiver Arthritis und von 2  Morbus-Bechterew-Patienten T-Killerzellen nachzuweisen, die tatsächlich bestimmte Bruchteile ("Peptide") körpereigener oder fremder Zellen dann und nur dann als "feindlich" erkennen, wenn diese Bruchteile auf der Oberfläche eines HLA-B27-Moleküls präsentiert werden. Die T-Zellen greifen dann die präsentierenden Zellen an und töten sie ab. Dies führt zunächst zu einer akuten, später chronischen entzündlichen Reaktion im betroffenen Gewebe und schließlich zu einer Gewebsschädigung im Sinne einer rheumatischen Erkrankung.
Dieses Ergebnis bestätigt das "Modell arthritogener Peptide", das neben anderen Modellen als Mechanismus der Krankheitsentstehung diskutiert wurde. Es stellt nicht nur einen neuen Durchbruch in der Aufklärung der Krankheitsursache dar, sondern eröffnet auch völlig neue Perspektiven für eine Therapie dieser und verwandter bis heute unheilbarer rheumatischer Erkrankungen.

Im Anschluss an die Preisverleihung erläu-
terte die Preisträgerin den Delegierten die Bedeutung ihrer Forschungsergebnisse
Im Anschluss an die Preisverleihung erläu-
terte die Preisträgerin den Delegierten die
Bedeutung ihrer Forschungsergebnisse

Als nächstes will Frau Dr. HERMANN mit ihrem Team herausfinden, welche Peptide es im einzelnen sind, die von den T-Zellen in Verbindung mit dem HLA-B27 erkannt werden und so den Anlaß für die Krankheitsentstehung bilden.
Fernziel der Arbeitsgruppe ist es, auf der Grundlage dieser neuen Erkenntnisse spezifische Immuntherapien zu entwickeln, die nicht wie unspezifische Immunsuppressiva oder Antibiotika das gesamte Immunsystem lahmlegen oder schwächen, sondern gezielt nur das Wechselspiel zwischen den HLA-B27-Molekülen, den krankheitsauslösenden Peptiden und den genau darauf gerichteten T-Zellen blockieren und so vielleicht einmal den bisher nicht heilbaren Morbus Bechterew lindern, heilen oder gar verhindern helfen.
Frau Dr. HERMANN hat der Ursachenforschung zum Morbus Bechterew eine Richtung gegeben, die bisher nicht beschreitbar war.
Die Ergebnisse stellen einen wichtigen Meilenstein am Weg zur Aufklärung der Ursache des Morbus Bechterew dar. Sicher ist noch ein langer, anstrengender Weg notwendig, bis aus der Forschung konkrete Vorschläge zur ursächlichen Bekämpfung der Krankheit resultieren.
Oder in einem anderen Bild: Frau Dr. HERMANN und ihr Team haben eine Tür aufgestoßen. Wir wissen nicht, wie viele geschlossene Türen noch dahinterliegen. Wir hoffen alle, daß es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis der ganze Weg frei ist zu einer ursächlichen Immuntherapie des Morbus Bechterew!

 

Bechterew-Brief Ende