Aus dem Bechterew-Brief Nr. 67 (Dezember 1996)

DVMB-Forschungspreis für Dr. Jürgen Braun von der FU Berlin und für Dr. Wolfgang Eich von der Universität Heidelberg

von Prof. Dr. rer. nat. Ernst Feldtkeller, Vorsitzender des Kuratoriums für den DVMB-Forschungspreis, München

Zum zweiten Mal verlieh die DVMB bei ihrer diesjährigen Delegiertenversammlung in Kaiserslautern den Forschungspreis der DVMB an erfolgreiche Wissenschaftler für ihre hervorragenden wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet des Morbus Bechterew.
Der Preis war 1993 zum ersten Mal ausgeschrieben und an Frau Dr. Elisabeth Hermann verliehen worden (siehe Bechterew-Brief Nr. 55 S. 1 und 3–6).
Dieses Mal hatten 7 Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Forschungsergebnisse eingereicht und sich um den Preis beworben.
Gemäß den Preis-Statuten wurde ein Kuratorium aus namhaften Wissenschaftlern gebildet, das die Aufgabe hatte, die eingegangenen Arbeiten zu bewerten und den Preisträger zu ermitteln. Dem Kuratorium für die Preisvergabe gehörten folgende Mitglieder an:

Das Kuratorium entschied nach sorgfältiger Durchsprache aller eingereichten Arbeiten, den Forschungspreis zu gleichen Teilen zu vergeben an Privatdozent Dr. med. Jürgen BRAUN von der Freien Universität Berlin für seine Habilitationsschrift

"Klinische und experimentelle Untersuchungen zur Diagnostik und Pathogenese der Spondylarthropathien"

und an Privatdozent Dr. med. Wolfgang EICH von der Universität Heidelberg für seine Habilitationsschrift

"Subjektives Krankheitserleben und Selbstwertregulation bei Patienten mit ankylosierender Spondylitis (Morbus Bechterew)"

Das Kuratorium begründete seine Entscheidung so:

Diagnose, Therapie und
Ursachenforschung mit Hilfe
modernster bildgebender
Verfahren

Dr. Jürgen Braun von der Freien Universität Berlin

DVMB-Forschungspreisträger Dr. Jürgen
BRAUN von der Freien Universität Berlin (hier
beim Rheumatologenkongreß im September
1996 in Bamberg)

Laudatio

Herrn Dr. BRAUN gelang es, unter Einsatz eines modernen bildgebenden Verfahrens (der von dem Radiologen Dr. Matthias BOLLOW an der Humboldt-Universität zu Berlin weiterentwickenten "dynamischen Kernspin-Tomographie") Entzündungen im Iliosakralgelenk von Morbus-Bechterew-Patienten in einem sehr frühen Stadium zu erkennen. Es gelang ihm zweitens (ebenfalls in Kooperation mit Dr. BOLLOW), mit Hilfe der Röntgen-Computertomographie eine Injektionsnadel in das sonst sehr schwer zugängliche Iliosakralgelenk zu führen und so kortisonhaltige Medikamente direkt in das entzündete Gelenk einzubringen. Und es gelang ihm drittens, bei dieser Gelenkpunktion entzündetes Gewebe aus dem Iliosakralgelenk von Morbus-Bechterew-Patienten zu gewinnen, um an diesen Gewebeproben nach Hinweisen auf den Krankheitsmechanismus zu suchen. Über diese Erfolge berichtete Herr Dr. BRAUN bereits im Bechterew-Brief Nr. 65 auf den Seiten 7–10.
Während die Anwendung der dynamischen Kernspin-Tomographie zur Untersuchung des Iliosakralgelenks einen wesentlichen Fortschritt für die Frühdiagnose des Morbus Bechterew bedeutet, stellt die computertomographisch geführte Injektion von Kortikoiden direkt ins Iliosakralgelenk ein wichtiges Beispiel für den Einstieg in innovative Therapieverfahren dar. Die Gewinnung von Zellen aus dem Iliosakralgelenk von Morbus-Bechterew-Patienten und ihre eingehende Untersuchung ist ein wichtiger Beitrag zur Aufklärung des Krankheitsmechanismus beim Morbus Bechterew.

 

Herr Dr. BRAUN charakterisierte die aus dem Iliosakralgelenk von Morbus-Bechterew-Patienten entnommenen Zellen und die von diesen gebildeten Zytokine (Botenstoffe, die dem Informationsaustausch zwischen den Zellen dienen). Die Untersuchung der Gewebeproben aus dem Iliosakralgelenk mit modernsten Verfahren zur Charakterisierung von Zelloberflächenstrukturen ergab interessante Hinweise auf das Geschehen im Frühstadium der Erkrankung.

In diesem Zusammenhang versuchte Dr. BRAUN auch, bakterielle DNA im Iliosakralgelenk nachzuweisen. Dafür gibt es jedoch bisher keinen Anhaltspunkt.

Die Untersuchungen und die sorgfältige Beschreibung der am Entzündungsgeschehen beteiligten Zellen tragen wesentlich zum Verständnis des Krankheitsgeschehens bei und stellen letztendlich ebenfalls eine Voraussetzung für innovative therapeutische Ansätze dar.

Umfassende Untersuchungen
zur Psychosomatik des Morbus Bechterew

Dr. Wolfgang Eich von der Universität Heidelberg

DVMB-Forschungspreisträger Dr. Wolfgang EICH
von der Universität Heidelberg bei seinem
Vortrag bei der DVMB-Delegiertenversammlung
1996 in Kaiserslautern

Laudatio

Obwohl sich viele Wissenschaftler darin einig sind, daß zur Krankheitsentstehung körperliche und seelische Faktoren beitragen, konzentriert sich die Forschung vorwiegend auf körperliche Mechanismen der Krankheitsentstehung. Vor diesem Hintergrund ist es das besondere Verdienst von Dr. Wolfgang EICH, erstmals durch Vergleich einer großen Gruppe von Morbus-Bechterew-Patienten mit ähnlichen Gruppen von Gesunden und von Patienten mit anderen Krankheiten systematisch nach psychologischen Merkmalen gesucht zu haben, die für die Krankheitsentstehung und für den Krankheitsverlauf beim Morbus Bechterew möglicherweise mitbestimmend sein könnten.
Durch seine Untersuchungen an 70 Morbus-Bechterew-Patienten des staatlichen Rheumakrankenhauses in Baden-Baden wies er nach, daß es keine gemeinsamen psychischen Merkmale für alle Morbus-Bechterew-Patienten gibt. Vielmehr fand er unter den Patienten drei Gruppen mit einem deutlich unterschiedlichen Zusammenspiel körperlicher und seelischer Faktoren bei der Krankheitsbewältigung. Diese Gruppen unterscheiden sich auch deutlich im Krankheitsverlauf und benötigen unterschiedliche Therapien. 

 

Wie sein Doktorand Patrick FISCHER bereits im Bechterew-Brief Nr. 65 erwähnte, setzte sich Dr. EICH zunächst mit den Ergebnissen früherer psychologischer Untersuchungen an vergleichsweise kleinen Patientengruppen auseinander. Dabei zeigte sich, daß weder die Hypothese von ZANDER 1981 (Morbus-Bechterew-Patienten würden nach einer Zeit des pubertären Auslebens mit einem (auch sexuell) freizügigen Lebensstil später bei der Bindung an eine ruhigere Partnerin erkranken) noch die Hypothesen von SCHILD und SPIEGEL (Zürich 1969: beim Morbus Bechterew würde sich eine neurotische, insbesondere narzißtische Grundstörung bemerkbar machen) einer genaueren Überprüfung standhält. Schon das Aufräumen mit solchen Vorurteilen, die auf Grund von Untersuchungen an sehr kleinen Patientengruppen in die Literatur eingegangen waren, macht die Arbeit wertvoll.
Das Hauptschwergewicht der Arbeit, mit der sich Dr. EICH an der Universität Heidelberg habilitierte, liegt jedoch auf der Untersuchung von Persönlichkeitsmerkmalen, die sich im Umgang mit der Krankheit herausgebildet haben. Dr. EICH stellte fest, daß es einen einheitlichen Morbus-Bechterew-Persönlichkeitstyp nicht gibt, daß man vielmehr unter den Morbus-Bechterew-Patienten drei Gruppen unterscheiden muß. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Regulationsstil, mit dem der Patient sein Selbstwertgefühl aufrecht zu erhalten sucht:

  1. Die in ihrem Selbstwert wenig verunsicherten, weitgehend unauffälligen "adaptierten" Morbus-Bechterew-Patienten haben über viele Jahre gelernt, mit der Krankheit umzugehen und entwickeln ein adäquates und adaptiertes Verhalten im Umgang mit der Krankheit. Sie nehmen an Selbsthilfegruppen usw. teil. Ihre Einstellung zur Krankheit führt zu einer relativ hohen Lebenszufriedenheit.
  2. Die in ihrem Selbstwert mittelmäßig verunsicherten "narzißtischen" Morbus-Bechterew-Patienten entwickeln besonders aktive Bemühungen, mit der Krankheit zurechtzukommen (Ablenkung, Krankengymnastik, adäquate Therapien, dem Schmerz gegenüber geringe Vermeidungstendenz), brauchen aber immer wieder rückversichernde Bestätigung und verlangen überbesorgt nach routinemäßigen Kontrollen. Trotz einer in dieser Gruppe besonders hohen Entzündungsaktivität erweisen sich hier die Bewegungseinschränkungen besonders gering.
  3. Die in ihrem Selbstwert besonders stark verunsicherten "psychosomatischen" Morbus-Bechterew-Patienten fühlen sich der Krankheit ohnmächtig ausgeliefert und entwickeln keine Aktivitäten gegen die Krankheit. Trotz vergleichsweise geringer Entzündungsaktivität ergeben sich in dieser Gruppe die stärksten Bewegungseinschränkungen. Diesen Patienten ist eine Psychotherapie anzuraten.
Drei verschiedene Morbus-Bechterew-Persönlichkeitsmuster nach Dr. Wolfgang Eich
Drei verschiedene Morbus-Bechterew-Persönlichkeitsmuster, nach Dr. Wolfgang Eich

Herr Dr. EICH hat mit seiner richtungweisenden Arbeit wissenschaftliches Neuland beschritten und die Grundlage für weitere erfolgversprechende Untersuchungen gelegt.

Bechterew-Brief Ende