Aus dem Bechterew-Brief Nr. 83 (Dezember 2000)

Medikamente bei entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen einschließlich der reaktiven Arthritis

von Dr. med. Lars Köhler, Prof. Dr. med. Hennig Zeidler und Dr. med. Jens G. Kuipers, Zentrum innere Medizin der Medizinischen Hochschule Hannover

Einleitung

Die Zuordnung verschiedener Erkrankungen zur Gruppe der Spondyloarthritiden (entzündlichen Erkrankungen der Wirbelsäule und evtl. weiterer Gelenke) erweist sich insbesondere bei der Therapie als sinnvoll, da weniger die Erkrankung an sich als vielmehr die Kombination der Symptome des einzelnen Patienten die Auswahl der Therapieformen bestimmt. Besonderheiten einzelner Erkrankungen müssen allerdings berücksichtigt werden.
Im folgenden Literaturbericht wird der aktuelle Stand der medikamentösen Therapie der undifferenzierten Spondyloarthritiden (siehe Bechterew-Brief Nr. 77 S. 9–11 und Nr. 79 S. 7–8) und der Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) unter Berücksichtigung der Antibiotika-Gabe bei reaktiven Arthritiden dargestellt. Auf spezielle Therapiebesonderheiten der Psoriasis-Arthritis und der Spondyloarthritis bei entzündlichen Darmerkrankungen wird nur in kurzer Form eingegangen. Unterschiede zu den übrigen Spondyloarthritiden ergeben sich vor allem bei der peripheren Gelenkbeteiligung und werden im entsprechenden Kapitel aufgeführt.

Allgemeine Therapieprinzipien

Drei Therapieansätze stehen bei den Spondyloarthritiden im Vordergrund:

Die richtige Auswahl und Kombination der Behandlungsmöglichkeiten unter Beteiligung anderer medizinischer Fachrichtungen und Hilfsberufe ermöglicht bei den meisten Patienten das Erreichen dieser Ziele. Zur optimalen Therapie der Spondyloarthritiden ist die Erstellung eines umfassenden, langfristigen individuellen Therapiekonzepts für den einzelnen Patienten erforderlich. In das Gesamtkonzept der Behandlung müssen neben allgemeinen Maßnahmen die krankheitsgemäße medikamentöse Therapie, die physikalische Therapie, evtl. die örtliche Therapie (z.B. eines einzelnen Gelenks), konservativ-orthopädische Maßnahmen und evtl. auch operative Möglichkeiten einbezogen werden. Aufgrund des häufig chronischen Verlaufs der Spondyloarthritiden sind auch psychosoziale Aspekte zu berücksichtigen. Beispiele für diese Behandlungsformen sind in der Tabelle 1 zusammengestellt.

Tabelle 1: Behandlungsformen bei Spondyloarthritiden
Therapieformen Beispiele
Allgemeinmaßnahmen Information, Gleichgewicht zwischen Be- und Entlastung, psychische Führung, psychosoziale Betreuung, Patientenschulung, Schmerzbewältigungsprogramme
physikalische Therapie Lagerung, Massage, Kälte- und Wärmetherapie, Elektrotherapie, Krankengymnastik, Ergotherapie
Lokaltherapie chemische oder Strahlen-Behandlung der Gelenkinnenhaut, Glukokortikoid-Injektionen, örtlich wirkende Betäubungsmittel, Durchblutungsfördernde Salben
Medikamente Nichtsteroidale Antirheumatika, Glukokortikoide, langwirksame Antirheumatika, Immunsuppressiva, Antibiotika
konservativ orthopädische Maßnahmen Lagerungsschienen und funktionelle Schienen, Gelenkentlastung, orthopädische Schuhe, Hilfsmittel 
Operationen Gelenkinnenhaut-Entfernung, Gelenk-Korrekturen, Gelenkersatz, Nervenentlastung, Aufrichtungsoperationen

Die Auswahl und Kombination der Therapieformen hängt weniger von der speziellen Diagnose ab als vielmehr von der Krankheitsaktivität und vom Beschwerdebild (Wirbelsäule, Gelenke außerhalb der Wirbelsäule, Sehnenansätze, Beteiligung innerer Organe).

Behandlung der Wirbelsäulenbeschwerden

Physikalische Therapie und Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind die entscheidenden Elemente bei der Therapie der Wirbelsäulenbeteiligung. Amor und seine Kollegen haben überzeugend gezeigt, dass NSAR den Schmerz und die Morgensteifigkeit der Wirbelsäule innerhalb von 48 Stunden signifikant verbessern und die Beschwerden nach Absetzen des Medikamentes innerhalb des gleichen Zeitraums wieder einsetzen (siehe Bechterew-Brief Nr. 53 S. 8–11). Verschiedene NSAR wie Diclofenac, Indometacin, Naproxen, Phenylbutazon, Piroxicam und Meloxicam haben sich als wirksam erwiesen.

Bild 1: Einsatz der nichtsteroidalen Antirheumatika bei Spondyloarthritiden mit Wirbelsäulenbeteiligung

Die Auswahl des NSAR, die Dosis und der Zeitpunkt der Einnahme müssen an den tageszeitlichen Verlauf der Schmerzen angepasst werden (Bild 1). Dazu stehen NSAR mit unterschiedlicher Halbwertszeit und verschiedenen Darreichungsformen zur Verfügung (Tabelle 2).

Tabelle 2: Halbwertszeiten einiger nichtsteroidaler Antirheumatika
  Wirkstoff Halbwertszeit
Nichtsteroidale Antirheumatika mit kurzer Halbwertszeit (weniger als 6 Stunden) Diciofenac 1–2 Std.
Ibuprofen 2 Std.
Indometacin 2 Std.
Nichtsteroidale Antirheumatika mit mittlerer Halbwertszeit (weniger als 16 Stunden) Naproxen 12–14 Std.
Sulindac 16 Std.
Nichtsteroidale Antirheumatika mit langer Halbwertszeit (mindestens 18 Stunden) Meloxicam 18 Std.
Piroxicam 40–45 Std.
Phenylbutazon 72 Std.

Typischerweise berichten Patienten mit einer Spondyloarthritis über einen tiefsitzenden Schmerz in der Lendenwirbelsäule, der vor allem in der zweiten Nachthälfte auftritt und am Morgen das Maximum erreicht. Entsprechend ist bei nächtlichem Schmerz die abendliche Einnahme eines NSAR in einer Form mit verzögerter Wirkstofffreigabe (z.B. Diclofenac retard) erforderlich. Aufgrund des morgendlichen Schmerzes ist gegebenenfalls eine zusätzliche Einnahme eines NSAR mit kurzer Halbwertszeit (z.B. Diclofenac 25–50 mg) sinnvoll (Bild 1 oben). Falls die Beschwerden am Tag für längere Zeit anhalten, sollte zur Mittagszeit erneut ein NSAR eingenommen werden. Alternativ bietet sich die einmalige Gabe eines Präparats mit gleichmäßiger Freisetzung (z.B. Voltaren Resinat) an (Bild 1 Mitte).
Wenn die Schmerzen durch Diclofenac trotz adäquater Anpassung an den tageszeitlichen Verlauf nicht ausreichend unterdrückt werden, sollte ein Versuch mit einem anderen Wirkstoff (z.B. Indometacin) gemacht werden. Bei einem Dauerschmerz ohne wesentliche Unterschiede zwischen Tag und Nacht stehen NSAR mit langer Halbwertszeit zur Verfügung, die nur einmal täglich eingenommen werden müssen (Bild 1 unten). Meloxicam und Piroxicam zeigen in der Wirksamkeit keinen Unterschied, jedoch sind Nebenwirkungen im Magen-Darm-Bereich bei Piroxicam häufiger beobachtet worden als bei Meloxicam.
NSAR können zu erheblichen Nebenwirkungen vor allem im Magen-Darm-Bereich führen. Maßnahmen zur Verminderung des Risikos von Magen-Blutungen und -Durchbrüchen wurden im Bechterew-Brief Nr. 72 S. 19–22 diskutiert. Es gibt Hinweise, dass eine neue NSAR-Klasse, die spezifischen Cyclooxygenase-2-Inhibitoren, den Magen-Darm-Trakt nicht schädigen. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Cyclooxygenase-2-Inhibitoren in der Therapie der Spondyloarthritiden muss jedoch noch durch Studien nachgewiesen werden (siehe Bechterew-Brief Nr. 81 Seite 8).
In Übersichtsartikeln und rheumatologischen Lehrbüchern wird meist festgestellt, dass Glukokortikoide (cortisonhaltige Medikamente) und Analgetika (reine Schmerzmittel) für die Therapie des Wirbelsäulenschmerzes selten erforderlich sind. Allerdings ergab eine kürzlich publizierte Studie, dass etwa 30% der Patienten mit einer Spondylitis ankylosans Schmerzmittel einnehmen. Im Fall einer mittleren bis schweren aktiven Erkrankung war die Rate noch höher. Auch Rheumatologen verschreiben bei fast der Hälfte der Patienten Analgetika (im Bechterew-Brief Nr. 64 S. 17–19 wurde darauf hingewiesen, dass im Alter Schmerzmittel vorzuziehen sind). Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass das Ziel der Schmerzfreiheit bei einem erheblichen Anteil der Patienten nicht erreicht wird. Für diese Patienten ist eine wirksamere entzündungshemmende Therapie erforderlich (siehe Kapitel "Behandlung therapierefraktärer Spondyloarthritiden").
Braun und Bollow berichteten kürzlich über eine erfolgreiche Glukokortikoid-Injektion ins Iliosakralgelenk im Fall eines therapierefraktären (auf die Therapie nicht ansprechenden) tiefsitzenden Rückenschmerzes aufgrund einer Sakroiliitis (Entzündung der Iliosakralgelenke) (siehe Bechterew-Brief Nr. 65 Seite 8–9). Auch eine Glukokortikoid-Injektion in die Nähe des Gelenks führt bereits zu einer signifikanten Schmerzlinderung. Die übliche Einnahme von cortisonhaltigen Medikamenten durch den Mund hat nur eine geringe (wenn überhaupt vorhandene) Wirkung auf die Wirbelsäulenbeteiligung.
Eine intravenöse (in eine Vene gegebene) Glukokortikoid-Stoßinjektion (mit hochdosiertem Cortison, meist 250 mg) ist jedoch bei schweren NSAR-refraktären Schüben hilfreich. Zwei offene Studien und zwei Dosisfindungsstudien zeigten eine signifikante Verbesserung bezüglich Morgensteifigkeit, Rückenschmerz und Wirbelsäulenbeweglichkeit. Die maximale Wirkung war nach einer Woche erreicht und hielt für 3 bis 21 Monate an. 3 oder 4 Stoßinjektionen waren wirksamer als 1 oder 2. Die Prednisolon-Äquivalenzdosis von 1 g war nicht wirksamer als 375 mg.
Falls durch die entzündungshemmende Therapie der Wirbelsäulenschmerz nicht unter Kontrolle gebracht werden kann, ist die zusätzliche Einnahme von Analgetika (reinen Schmerzmitteln, z. B. Paracetamol, Opioide) und/oder Amitriptylin (30 mg/Tag) notwendig, um den Schlaf und die Beweglichkeit zu verbessern.
Ob langwirksame Antirheumatika (LWAR, früher als "Basismedikamente" bezeichnet) den Verlauf der Wirbelsäulenbeteiligung beeinflussen, ist nicht geklärt. Placebo-kontrollierte Studien sind zu dieser Fragestellung nur für Sulfasalazin vorhanden und zeigen keinen eindeutig positiven Effekt. In der Praxis kann Sulfasalazin nur als individueller Versuch für Patienten mit therapie-refraktärer Wirbelsäulenbeteiligung vor allem in frühen Krankheitsstadien empfohlen werden. Die Wirksamkeit der Behandlung sollte nach 4 Monaten beurteilt werden (siehe Bechterew-Brief Nr. 71 Seite 24–25).

Gelenkbeteiligung außerhalb der Wirbelsäule

Welche Therapie bei einer peripheren Gelenkbeteiligung angebracht ist, hängt vom Ausmaß der Gelenkbeteiligung und von der Dauer der Symptome ab. NSAR haben sich als wirksam bewährt. Akute Verschlimmerungen erfordern gegebenenfalls die Injektion oder Einnahme von Glukokortikoiden. LWAR sind bei mindestens 3 Monate anhaltenden Beschwerden, bei Gelenkzerstörungsprozessen und bei wiederholten Rückfällen sinnvoll. Mehrere Studien zeigen, dass Sulfasalazin bei Patienten mit peripherer Gelenkentzündung wirksam ist und gut vertragen wird.
Für andere LWAR ist nur wenig Information verfügbar. Methotrexat wird von Rheumatologen bei 11–13% der Patienten mit mittlerer und schwerer Spondylitis ankylosans eingesetzt. Allerdings zeigen kürzlich publizierte offene Studien nur eine geringe oder keine Wirksamkeit der Methotrexat-Therapie. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, bevor Methotrexat als etablierte Therapie der Spondyloarthritiden betrachtet werden kann. Penicillamin und Goldsalze haben sich bei der Spondylitis ankylosans in Placebo-kontrollierten Studien als unwirksam erwiesen. Für Chloroquin und Azathioprin liegen keine Untersuchungen vor. Cyclophosphamid stellt eine Therapieoption bei Patienten mit einer sekundären Amyloidose (krankhafte Einlagerung stärkeähnlicher Eiweißkörper in innere Organe) dar. Möglicherweise verhindert eine Unterdrückung der Entzündungsprozesse das Fortschreiten der Amyloidose.

Behandlung der Psoriasis-Arthritis

Bei der Psoriasis-Arthritis ist der Einsatz von LWAR im Fall einer chronisch fortschreitenden Verlaufsform mit im Röntgenbild sichtbaren Gelenkzerstörungen angezeigt. Folgende Faktoren machen einen schweren Verlauf dieser Erkrankung wahrscheinlicher:

Die meisten Untersuchungen zum Einfluss von LWAR auf die Krankheitsaktivität liegen auch hier für Sulfasalazin vor. In den Studien wurde ein günstiger Einfluss auf die Gelenkbeteiligung belegt. Auch für Methotrexat und Cyclosporin A wurde die Wirksamkeit bezüglich der Gelenk- und der Hautbeteiligung nachgewiesen. Bei einer vergleichenden Studie zwischen Methotrexat und Cyclosporin A zeigte sich kein Unterschied im Einfluss auf die Gelenk- und Hautbeteiligung. Allerdings musste Cyclosporin häufiger als Methotrexat wegen Nebenwirkungen abgesetzt werden. Auch Goldsalze sowie Hydroxychloroquin haben sich bei der Psoriasis-Arthritis als wirksam erwiesen. Allerdings können beide Substanzgruppen zu einer Verschlimmerung der Hautbeteiligung führen. Da andere wirksame LWAR zur Verfügung stehen, ist es ratsam, Gold und Hydroxychloroquin nur mit Vorsicht einzusetzen. Bisher hat noch keine Studie eine Verhinderung der Gelenkzerstörung durch LWAR eindeutig belegt.
Als weitere Therapiemöglichkeiten wurden Vitamin-D3-Abkömmlinge, Retinoide, Azathioprin und die Kombination von Psoralen und Ultraviolett A bei der Psoriasis-Arthritis erfolgreich eingesetzt. Zur Beurteilung der Wirksamkeit fehlen jedoch Vergleichsstudien, so dass ein Therapieversuch mit diesen Substanzen erst nach Versagen der oben genannten LWAR unternommen werden sollte. Im Gegensatz zur chronischen Polyarthritis liegen für die Psoriasis-Arthritis kaum Daten zur Kombination zweier LWAR vor. Bei nicht ausreichender Wirksamkeit eines LWAR erscheint die Kombinationen von Methotrexat und Sulfasalazin oder Methotrexat und Cyclosporin A sinnvoll.

Spondyloarthritis bei entzündlicher Darmerkrankung

Bei einer Spondyloarthritis in Kombination mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa ist der Entzündungsgrad des Darms mit der Aktivität der peripheren Gelenkerkrankung verknüpft. Entsprechend sollte bei der Behandlung die Unterdrückung der entzündlichen Darmbeschwerden im Vordergrund stehen. Zur langfristigen Therapie von Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sollte Sulfasalazin zwei- bis dreimal 1000 mg/Tag statt 5-Aminosalizylsäure verwendet werden, da Sulfasalazin die Gelenkbeschwerden mitbeeinflusst, 5-Aminosalizylsäure dagegen nicht.

Morbus Whipple, Zöliakie

Ursache des Morbus Whipple ist die bakterielle Infektion mit Tropherymawhippelii. Eine antibiotische Therapie mit Trimethoprim (160 mg) und Sulfamethoxazol (800 mg) 2 mal täglich für 12 bis 24 Monate führt zum Rückgang der Erkrankung. Insbesondere bei einer Gehirn-Beteiligung ist die tägliche parenterale (den Magen-Darm-Trakt umgehende) Behandlung mit Penicillin G 1,2 Mega und Streptomycin 1 g für 2 Wochen als Anfangstherapie empfehlenswert.
Eine Besserung der Gelenkbeteiligung bei Zöliakie (einer chronischen Darm-Erkrankung mit charakteristischen Durchfällen und Stoffwechselstörungen) wird durch gluten-freie Kost erreicht.

Enthesitis

Die Enthesitis (Sehnenansatz-Entzündung) ist eine häufige, oft vernachlässigte Problemsituation der Spondyloarthritiden. Das Ausmaß des Schmerzes schwankt zwischen mild und ausgeprägt bis zur Behinderung. Behandelt wird die Enthesitis mit NSAR, physikalischer Therapie (Iontophorese, Ultraschallbehandlung) und Hilfsmitteln zur örtlichen Druckentlastung. Bei mangelnder Wirksamkeit sollte eine lokale Steroid-Injektion erfolgen. Eine niedrig-dosierte entzündungshemmende Strahlentherapie bleibt für Patienten reserviert, die auch nach der Behandlung mit Physiotherapie und Medikamenten über erhebliche Beschwerden klagen.
Als besonders schwierig erweist sich die Therapie der multiplen Enthesitiden (Entzündung vieler Sehnenansätze). Nach eigenen Erfahrungen kommt es bei dieser Symptomatik häufig zu einem sekundärenFibromyalgiesyndrom (Schmerzen im Bereich von Muskeln, Knochen und Bindegewebe) bzw. einem über den ganzen Körper ausgebreiteten Schmerzsyndrom. Es ist deshalb wichtig, neben den genannten Therapieprinzipien auf eine geeignete Schmerztherapie zu achten. Dabei können Analgetika (Schmerzmittel, von Paracetamol bis zu den Opioiden und/oder Amitritylin) verwendet werden. Widersprüchliche Angaben existieren bezüglich des Einsatzes von Sulfasalazin als LWAR. Deshalb wird Sulfasalazin nur nach Versagen der oben genannten Möglichkeiten bei multiplen Enthesitiden in Verbindung mit erhöhten Labor-Entzündungsparametern empfohlen.

Reaktive Arthritis

Reaktive Arthritiden entstehen nach einer bakteriellen Infektion. Während auch für andere Spondyloarthritiden Erreger als Auslöser vermutet werden, spricht man von einer reaktiven Arthritis, wenn Erreger oder Erregerbestandteile im Gelenk nachgewiesen werden können, selbst wenn eine Kultivierung von Erregern aus dem Gelenk nicht gelingt. Mittlerweile wurden zahlreiche Erreger identifiziert, die reaktive Arthritiden auslösen können. Zu den wichtigsten Auslösern gehören in den westli- chen Ländern Chlamydien, Yersinien und Salmonellen.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass Chlamydien als lebende, stoffwechsel-aktive Erreger im Gelenk vorhanden sind. Nachdem bei den reaktiven Arthritiden nach Darminfektionen bereits früher ein langfristiges Überleben der Erreger im Darm gezeigt wurde, mehren sich die Berichte darüber, dass auch im Gelenk nicht nur Antigen-, sondern auch Erreger-DNS und sogar RNS als Hinweis für einen lebenden Erreger vorhanden sind.
Das Fortbestehen eines stoffwechsel-aktiven Erregers ist für die Auslösung und Unterhaltung der Entzündung im Gelenk entscheidend. Eine Beseitigung der Erreger durch eine Antibiotika-Therapie ermöglicht deshalb eine Heilung dieser Erkrankung. In zufalls-kontrollierten Studien wurden zwei Antibiotika, Tetracyclin und Ciprofloxacin, bezüglich ihrer Wirksamkeit bei der Behandlung reaktiver Arthritiden untersucht, die durch Chlamydien oder Darmbakterien ausgelöst wurden. Die bisherigen Daten konnten jedoch keine eindeutig positive Wirkung auf den Verlauf der reaktiven Arthritis belegen.
In einer Placebo-kontrollierten Doppelblindstudie mit Lymecyclin (Tetracyclin) über 3 Monate wurde bei Patienten mit Chlamydien-induzierter Arthritis lediglich die Dauer der Schmerzschübe beeinflusst, nicht jedoch die Arthritis selbst. Der Verlauf der durch Darmbakterien ausgelösten reaktiven Arthritis wurde durch Lymecyclin nicht beeinflusst.
Bei Verwendung von Ciprofloxacin über 3 Monate in einer placebokontrollierten Doppelblindstudie zur Therapie von Patienten mit chronisch reaktiver Arthritis kam es zu einer signifikanten Besserung einiger Parameter in der Ciprofloxacin-Gruppe (Schmerz, Morgensteifigkeit), aber auch in der Placebogruppe (Ritchie-Index, Blutsenkungsgeschwindigkeit). Auch in zwei weiteren Doppelblindstudien mit diesem Antibiotikum fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen der Ciprofloxacin- und der Placebo-Gruppe.
Obwohl lebende stoffwechsel-aktive Erreger zumindest bei der Chlamydien-induzierten Arthritis eindeutig im Gelenk nachgewiesen wurden und damit der Einsatz von Antibiotika nahe lag, ist somit ein positiver Effekt von Antibiotika auf den Krankheitsverlauf nicht belegt. Möglicherweise ist die bisher verwendete Antibiotika-Therapie aufgrund des besonderen Zustands des Erregers bei einer fortbestehenden Infektion unwirksam. Nach eigenen Laboruntersuchungen kommt es durch Antibiotika nicht zu der erwarteten Vernichtung von Chlamydia trachomatis, sondern sogar zu einer Begünstigung ihres Überlebens.
Vor weiteren Versuchen muss deshalb zunächst der Grund für das Überleben der Erreger aufgeklärt werden. Erfolgversprechende Ansätze bestehen in der Erprobung weiterer Antibiotika bzw. in einer Antibiotika-Kombination oder in einer Kombination aus Antibiotikum und Modulation der Zytokinexpression. Erste positive Erfahrungen bezüglich der Therapie der Chlamydien-induzierten Arthritis mit Rifampicin sind ermutigend. Eine Doppelblindstudie zum Vergleich der Wirksamkeit von Azithromycin 1000 mg einmal pro Woche über 3 Monate bei frühen undifferenzierten und reaktiven Arthritiden befindet sich zur Zeit in der Auswertung.
Insgesamt ist festzustellen, dass bezüglich der Therapie der reaktiven Arthritis in den letzten Jahren kein Durchbruch erzielt wurde. Deshalb ist bis zur Entwicklung eines wirksamen Therapiekonzeptes eine Langzeitbehandlung der reaktiven Arthritis mit Antibiotika derzeit nicht angezeigt.
Dagegen ist bei Nachweis von Chlamydia trachomatis in den Harn- und Geschlechtsorganen eine Therapie mit Azithromycin (1000 mg einmalig) oder Doxycyclin (2 mal 100 mg über 10–14 Tage) erforderlich. Zur Auslöschung der Infektion ist die Unterbrechung der Infektionskette notwendig. Deshalb ist auf eine Partnerbehandlung zu achten.
Für die reaktive Arthritis nach einer Darminfektion gibt es zur Zeit keinen Hinweis, dass bei Nachweis entsprechender Erregern in der Stuhlkultur eine Behandlung mit Antibiotika sinnvoll ist.
Da eine ursächliche Therapie der reaktiven Arthritis zur Zeit nicht zur Verfügung steht, bleibt auch hier nichts anderes übrig als die Symptome der Erkrankung zu behandeln.

Behandlung therapierefraktärer Spondyloarthritiden

Als therapierefraktär wird eine Spondyloarthritis bezeichnet, wenn sie auf eine Therapie mit NSAR nicht ausreichend anspricht (Bild 2). Bevor die Beschwerden eines Patienten als therapierefraktär eingestuft werden, sollte die Dosis des NSAR auf die Maximaldosis erhöht werden. Weiterhin kann es sinnvoll sein, das NSAR zu wechseln und eine andere Substanz einzusetzen. Phenylbutazon ist das wirksamste NSAR zur Behandlung von Spondyloarthritiden. Bei Versagen der Therapie mit einem Standard-NSAR spricht das Risiko-Nutzen-Verhältnis für einen Versuch mit Phenylbutazon in einer täglichen Dosis von 400 bis 600 mg. Eine regelmäßige Überwachung der Laborparameter, vor allem des Blutbilds ist erforderlich, um schwere Nebenwirkungen rechtzeitig zu erkennen wie die Agranulozytose (Fehlen einer bestimmten Art weißer Blutkörperchen, der Granulozyten, mit dem Risiko einer lebensgefährlichen Abwehrschwäche).

Bild 2: Flussdiagramm der medikamentösen Therapie der Entzündung im Bereich der Wirbelsäule und/oder der Iliosakralgelenke

Wenn NSAR keine ausreichende Wirkung zeigen, kann eine intravenöse Pulstherapie mit Prednisolon (15 mg pro kg Körpergewicht für 3 Tage) den akuten Schub mildern. Wenn nur die Iliosakralgelenke entzündet sind, ist eine örtliche Verabreichung von Glukokortikoiden ins Iliosakralgelenk sinnvoll.
Falls die Krankheitsaktivität über mehr als 3 Monate anhält, sollte für die Behandlung der peripheren Gelenkbeteiligung Sulfasalazin eingesetzt werden. Wenn nur die Wirbelsäule oder Sehnenansätze betroffen sind, muss die Behandlung mit Sulfasalazin als individueller Heilversuch betrachtet werden.
Die Wirkung von Sulfasalazin beginnt nach 4–8 Wochen. Die maximale Wirksamkeit ist nach 12 bis 16 Wochen erreicht. Deshalb muss das Medikament mindestens 4 Monate angewandt werden, bevor eine endgültige Entscheidung über die Wirksamkeit gefällt werden kann.
Für die Patienten, bei denen es trotz dieses schrittweisen Vorgehens zu keiner ausreichenden Besserung kommt, ist der Einsatz von experimentellen Therapieprinzipien zu überlegen (siehe Bechterew-Brief Nr. 81 Seiten 7–13).

Bechterew-Brief Ende

Anschrift der Verfasser: Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung Rheumatologie, Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover
Quelle: Patientenverständliche Fassung eines in Aktuelle Rheumatologie Jahrgang 25 (2000) S. 30–37 erschienen Artikels (dort mit ausführlichem Literaturverzeichnis)