Aus dem Morbus-Bechterew-Journal Nr. 108 (März 2007)

Fibromyalgie bei Morbus-Bechterew – Begleiterkrankung oder Fehldiagnose

von Prof. Dr. med. Wolfgang Keitel, Vogelsang bei Magdeburg

In Zuschriften unserer Mitglieder kommt immer wieder das Stichwort „Fibromyalgie“ vor, entweder als Fehldiagnose vor der Diagnose „Morbus Bechterew“ oder als zusätzliche Diagnose. Professor Keitel schrieb uns dazu den folgenden Beitrag.

Die MBJ-Redaktion

Die Fibromyalgie ist eine der häufigsten Erkrankungen in der allgemeinmedizinischen Praxis. Sie stellt aber auch einen großen Teil der Patienten in rheumatologischen und orthopädischen Sprechstunden. Ihr Vorkommen unter der Wohnbevölkerung wird in den Industriestaaten mit 2–3% angenommen. Sie ist damit etwa dreifach häufiger als der Morbus Bechterew. Wegen ihrer relativ weiten Verbreitung ist ein zufälliges Zusammentreffen beider Krankheiten möglich. Wahrscheinlicher erscheint allerdings bei gemeinsamem Auftreten eine ursächliche Beziehung zu sein.
Beide Krankheitsbilder bereiten aus unterschiedlichen Gründen oft Schwierigkeiten bei der Krankheitserkennung. Die Vieldeutigkeit ihrer Krankheitszeichen leistet einer wechselseitigen Fehlinterpretation Vorschub.

Bild 1: Ort der ersten Beschwerden bei der Fibromyalgie. Quelle: J. Kelemen, T. Stratz, W. Müller; Sekundäre Fibromyalgien. Fortschr Med (Orig) 116 (1998) 31–36

Bild 1: Ort der ersten Beschwerden bei der Fibromyalgie. Quelle: J. Kelemen, T. Stratz, W. Müller; Sekundäre Fibromyalgien. Fortschr Med (Orig) 116 (1998) 31–36

Über die generelle Bedeutung von Fehldiagnosen (falsch-positive Diagnose „Morbus Bechterew“, wenn in Wahrheit eine andere Krankheit vorliegt, falsch-negativ, wenn ein Morbus Bechterew übersehen wird) wurde bereits im Bechterew-Brief Nr. 73 S. 18-24 berichtet. Hier soll speziell auf die im Titel gestellte Frage eingegangen werden.

Fibromyalgie: Wie äußert sie sich?

Zunächst zum Begriff „Fibromyalgie“: Eine wörtliche Übersetzung würde „Faser-Muskelschmerz“ lauten. Dies drückt aus, dass nicht die Gelenke, sondern Weichteilstrukturen betroffen sind. Vielfach wird daher auch die Fibromyalgie verallgemeinernd als Weichteilrheumatismus bezeichnet.
Wie äußert sich die Krankheit? Im Vordergrund steht ein großflächiger Muskelschmerz in vielen Körperregionen – zu Beginn besonders häufig an der Lendenwirbelsäule (Bild 1).
Er tritt spontan auf, ist über den größten Teil des Tages vorhanden, wird oft durch Stress verstärkt und kann durch Druck ausgelöst werden. Dabei ist die erniedrigte Schmerzschwelle der Betroffenen, welche eine Schmerzempfindung schon bei einem geringen Druck auf Weichteilpartien angeben, ein charakteristisches Merkmal. Dieser Schmerztyp ist diagnoseführend und wurde zur Grundlage der diagnostischen Kriterien des Krankheitsbilds, die nach den Vorschlägen der amerikanischen Rheumatologen-Gesellschaft (ACR = American College of Rheumatology) aufgestellt wurden. Sie beinhalten vereinfacht das Auftreten von verbreiteten Schmerzen spontan und auf Druck an mindestens 11 von 18 definierten Körperstellen. Deren Lage wird meist an der Zeichnung des Barons Jean-Baptiste REGNAULT von 1793 veranschaulicht (Bild 2), die auch zum Symbol der Fibromyalgie-Selbsthilfeorganisation wurde. Neben den Schmerzen am Bewegungsapparat klagen die Betroffenen über eine allgemeine Körperschwäche und Minderung ihrer Leistungsfähigkeit.

Bild 2: Die zu prüfenden Schmerzpunkte
(auf jeder Seite neun, insgesamt 18) sind hier eingetragen in eine Nach-zeichnung
der im Louvre in Paris aufbewahrten „Drei Grazien“ des Barons Jean-Baptiste
REGNAULT von 1793

Bild 2: Die zu prüfenden Schmerzpunkte (auf jeder Seite neun, insgesamt 18) sind hier eingetragen in eine Nach-zeichnung der im Louvre in Paris aufbewahrten „Drei Grazien“ des Barons Jean-Baptiste REGNAULT von 1793

Regelmäßig, und daher von einigen Untersuchern auch als zusätzliches diagnostisches Kriterium gefordert, treten psychische Auffälligkeiten (Ängstlichkeit, Depressivität) und Krankheitszeichen auf, die Störungen im vegetativen (unwillkürlichen) Nervensystem signalisieren: Schlafstörungen, . . .

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