Aus dem Morbus-Bechterew-Journal Nr. 95 (Dezember 2003)

Möglichkeiten der Wirbelsäulen-Chirurgie bei der Behandlung der Spondylitis ankylosans

von Assistant Professor Dr. med. Hesham El Saghir, Oberarzt, und Dr. med. Heinrich Böhm, Chefarzt, Klinik für Orthopädie, Wirbelsäulenchirurgie und Querschnittgelähmte, Bad Berka

Einleitung

Die Rolle der Wirbelsäulen-Chirurgie bei der Behandlung der Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) hat in letzter Zeit sehr an Bedeutung zugenommen. Dazu haben mehrere Faktoren beigetragen:

Folgende Indikationen für einen chirurgischen Eingriff an der Wirbelsäule kommen in Frage:

Grundlagen der chirurgischen Korrektur der Brust- und Lendenwirbelsäule

Im Jahre 1945 veröffentlichten M. N. SMITH-PETERSON, C. B. LARSON und O. E. AUFRANC ihre Methode zur operativen Wirbelsäulenkorrektur bei der Spondylitis ankylosans durch posteriore Osteotomie (Knochenschnitt von hinten). Die Methode ist anwendbar, wenn die Syndesmophyten (Knochenbrücken) vorn an der Wirbelsäule durch Dehnung der Wirbelsäule aufgebrochen werden können. Es wurde jedoch beobachtet, dass die Knochenbrücken vorn an der Wirbelsäule für diese Methode ein beträchtliches Hindernis darstellen. Dies war der Grund für die Einführung eines zweistufigen Vorgehens. 1959 erkannte W. A. LAW den Vorteil einer inneren Fixierung der Korrektur durch Metallimplantate.
Es war schließlich K. ZIELKE in Bad Wildungen, der die Wirbelsäulenkorrektur durch polysegmentale Osteotomie (Verteilung der Knochenschnitte auf 4 bis 6 Stellen an der Wirbelsäule mit jeweils etwa 10 Grad Korrektur) mit transpedikulärer Fixation (Fixierung durch Schrauben, die durch die Ansätze der Wirbelbögen hindurch im Wirbelkörper verankert werden) einführte (Bechterew-Brief Nr. 57 S. 3–18). Der Hauptvorteil dieser Technik ist die Wiederherstellung eines harmonischen Wirbelsäulenverlaufs, während durch die Operation nur eines Segments immer ein Knick im Wirbelsäulenverlauf erzeugt wurde.
Seit dem Ende der 1980er Jahre wurde diese Technik unverändert beibehalten. Zwischenzeitliche Verbesserungen beziehen sich auf das Instrumentierungssystem (das System eingebauter Metallimplantate), die Anästhesie und die intensivmedizinische Versorgung, die eine zweistufige Operation (von vorn und hinten) an einem Operationstermin erlauben. Ein Problem bestand weiterhin darin, dass für den sicheren Zugang zum operierten Wirbelsäulenbereich eine relativ großflächige Wunde notwendig ist.
Vor 10 Jahren führte H. BÖHM in Bad Berka eine neue minimal-invasive Technik für den Zugang zur Vorderseite der Wirbelsäule ein, die 1996 so verfeinert werden konnte, dass die Bearbeitung der Wirbelsäulen-Vorder- und Hinterseite ohne Umbettung in Bauchlage des Patienten durchgeführt werden kann. Die Knochenschnitte an der Vorderseite der Wirbelsäule werden dabei mit Hilfe einer endoskopischen Schlüsselloch-Technik durchgeführt. Dies hat folgende Vorteile:

Bild 1: Schematische Darstellung des Korrekturverfahrens mit mehreren Knochenschnitten (a) zur Wiederherstellung einer harmonischen Lordose (Krümmung nach hinten) der Lendenwirbelsäule (b). 
Th11 = 11. Brustwirbel,  L3 = 3. Lendenwirbel. Nach H. Böhm, H.-J. Hehne und K. Zielke, Bechterew-Brief Nr. 57 S. 3–18).

 

Minimal-invasive Technik zur Korrektur der Brust- und Lendenwirbelsäule

Die Operation wird in Bauchlage des Patienten stufenweise durchgeführt.
Stufe 1: Die Wirbelsäule wird von hinten freigelegt. Die transpedikulären Fixationsschrauben werden angesetzt und ihre Lage und optimale Länge unter Röntgendurchleuchtung kontrolliert. Mit Hilfe einer Hohlmeißelzange werden keilförmige Knochenschnitte in den am meisten von der Kyphose (Verkrümmung) betroffenen Segmenten angebracht, meist in der Gegend des Übergangs von der Lenden- zur Brustwirbelsäule (Bild 1). Wieviel Knochen entfernt werden muss, hängt vom Ausmaß der notwendigen Korrektur ab. Die Form der Knochenschnitte erfordert besondere Sorgfalt, denn die erzeugten Zwischenräume müssen bei dem Korrekturvorgang vollständig geschlossen werden, ohne dass irgendwelche Nervenstrukturen eingeklemmt werden.
Stufe 2: Auf der Bauchseite wird in der Mittellinie gegenüber dem Scheitelpunkt der Kyphose ein 3 cm langer Schnitt angebracht. In eine zweite 1,5 cm große Öffnung wird das Endoskop eingeführt. Im Operationsbereich wird das Brustfell vor der Wirbelsäule gespalten. Während für die Korrektur der Wirbelsäulenform Knochen nur hinten entnommen wird, dient die Schlüsselloch-Operation von vorn lediglich der Auftrennung der verknöcherten Vorderfläche der Wirbelsäule und der Vorbereitung der Schnittflächen für ein rasches Zusammenwachsen. Dies ist ganz besonders notwendig bei Andersson-Läsionen, bei denen sich die Korrektur auf den Vorderteil des Wirbelzwischenraums konzentriert. Bei der Aufrichtung einer Bambusstab-Wirbelsäule werden alle vor dem Rückenmark liegenden Knochenelemente sorgfältig aufgetrennt und dann der Rumpf allmählich aufgedehnt, um die Verformung zu korrigieren (Bild 2). Die entstandenen Lücken werden dann mit den gewonnenen Knochenteilen oder mit Knochenspänen aus dem Beckenkamm aufgefüllt.
Im Falle einer schweren Instabilität kann eine weitere Fixierung durch Metallimplantate von vorn notwendig werden. Auch sie können mit der Schlüssellochtechnik eingebracht werden. Bei Operationen unterhalb des 2. Lendenwirbels ist ein ähnlicher Zugang durch das Bauchfell hindurch möglich.
Stufe 3: Die Spondylodese (operative Versteifung der Wirbelsäule) wird von hinten vollendet. Die Fixierungsstangen werden eingesetzt und an den Schraubenköpfen befestigt. Auch hinten werden zur Verstärkung der Spondylodese Knochenchips angesetzt. Dann wird die Operationswunde lagenweise geschlossen. Die Überwachung der Rückenmarkfunktion durch konstante Prüfung der Gefühlsbahnen während der Operation (neurophysiologisches Monitoring, SEP-Monitoring) und der Aufwachtest sind Routinemaßnahmen im Interesse der Sicherheit des Verfahrens.

Bild 2: Chirurgische Aufrichtung der Lendenwirbelsäule und des Übergangsbereichs zwischen Lenden- und Brustwirbelsäule. 
Röntgenaufnahme und Profilbild vor (a und c) und nach der Operation (b und d).

Grundlagen der Kyphose-Korrektur im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule

Die Hals- und obere Brustwirbelsäule sind bei der Spondylitis ankylosans häufig der Ort einer schweren Kyphose. Mit normalen Röntgenaufnahmen ist dieser Bereich kaum abzubilden. Die Kernspintomographie (Bechterew-Brief Nr. 65 S. 11–16) ist hier eine große Hilfe. Die Operationstechnik hängt davon ab, ob die Kyphose knöchern versteift ist oder nicht. Eine noch bewegliche kyphotische Verformung findet man vor allem im Zusammenhang mit unerkannten Wirbelbrüchen.
Das Gewicht des Kopfs bei stark gebeugtem Nacken führt zu  einer Hebelwirkung an der Nackenbasis. Deshalb treten im Übergangsbereich zwischen Brust- und Halswirbelsäule besonders häufig Wirbelbrüche auf, sowie daraus hervorgehende Instabilitäten und Andersson-Läsionen.
Seit der Beschreibung einer Osteotomie im Halswirbelsäulenbereich durch URIST im Jahre 1958 ist das Verfahren vielfach modifiziert worden. Die Operation kann unter örtlicher Betäubung durchgeführt werden. Ein mit einem Korsett verbundener, am Schädel verschraubter Halo (Metallring) kann die Korrektur vorübergehend fixieren. Manche Verfasser bevorzugen stattdessen eine direkte innere Fixierung. Nach unserer Erfahrung sollte die Osteotomie immer dann durchgeführt werden, wenn Knochenbrücken eine allmähliche und gewaltfreie Korrektur der Kyphose behindern. Im Übergangsbereich zwischen Brust- und Halswirbelsäule kann es notwendig sein, die Operation nur von hinten durchzuführen oder im Zusammenhang mit einer vorher durchgeführten Auftrennung der Knochenbrücken von vorn.

Operationstechnik bei einer beweglichen Kyphose im Nacken-Bereich

Die Operation wird in Bauchlage des Patienten unter Vollnarkose durchgeführt. SEP-Monitoring wird angewandt, um die Rückenmarkfunktion während der Operation zu überwachen. Die Wirbelsäule wird von der Mitte der Halswirbelsäule bis zum 4. Brustwirbel freigelegt. Zur Fixierung der Wirbelsäule wird ein Stangen-Schrauben-System verwendet. Vom 2. bis zum 4. Brustwirbel werden Schrauben durch die Wirbelbögen hindurch in die Wirbelkörper eingeschraubt. Die Halswirbel C4 bis C6 werden durch seitliche Schrauben fixiert. Die Position und Länge der Schrauben wird durch Röntgendurchleuchtung kontrolliert. Die hinteren Teile des 7. Halswirbels werden entfernt, ebenso Teile des 6. Halswirbels und des 1. Brustwirbels. Der Umfang der Knochenentfernung richtet sich nach dem notwendigen Ausmaß der Korrektur. Die Wirbelbögen des 7. Halswirbels werden vollständig entfernt, um eine nachträgliche Verengung von Nervendurchtrittsöffnungen zu vermeiden. Der Nacken wird dann gestreckt, bis das notwendige Maß der Korrektur erreicht ist. Die Metallstäbe werden eingesetzt und an den Schrauben befestigt. Ein Aufwachtest wird durchgeführt, um sicherzustellen, dass der Patient neurologisch (das Nervensystem betreffend) stabil ist. Das entfernte Knochenmaterial wird verwendet, um die Osteotomie-Stellen zu verstärken. Wenn die vorne entstandenen Zwischenräume zwischen den Wirbelkörpern zu groß sind und die spontane Überbrückung zu lange dauern würde, empfehlen wir deren Überbrückung mit Knochenteilen. Dies erfordert zwar eine zweite Operation von vorn, die wir aber gewöhnlich innerhalb desselben Narkosezeitraums durchführen können. Wegen der viel schnelleren knöchernen Stabilisierung lohnt sich diese zusätzliche Operation normalerweise sehr, weil dadurch das Risiko eines Korrekturverlusts reduziert wird, eine äußerliche Abstützung nach der Operation überflüssig wird und der Heilungsverlauf nach der Operation wesentlich abgekürzt wird.

Operationstechnik bei einer knöchern fixierten Kyphose im Nacken-Bereich

In diesem Fall ist es zweckmäßig, mit einer Auftrennung der Vorderseite im Bereich der Bandscheibe zwischen dem 7. Halswirbel und dem 1. Brustwirbel zu beginnen. Der Patient wird dann in die Bauchlage gewendet und die Operation vollendet, wie für die bewegliche Kyphose im Nackenbereich beschrieben (Bild 3).
Wenn die Kyphose so stark ist, dass sich das Kinn auf der Brust befindet, gibt es keine Möglichkeit, die Auftrennung der Vorderseite von vorn zu bewerkstelligen. In diesem Fall muss die Auftrennung der Vorderseite von hinten aus erfolgen. Eine Navigation mit Hilfe der Computer-Tomographie oder Kernspintomographie gewährleistet die Sicherheit der wichtigen umliegenden Strukturen.

Bild 3: Chirurgische Korrektur einer knöchern versteiften Kyphose im Bereich des Übergangs zwischen Hals- und Brustwirbelsäule. 
Röntgenaufnahme und Profilbild vor (a und c) und nach der Operation (b und d).

Die atlanto-axiale Dislokation

Wenn auch selten, stellt eine Dislokation (Verschiebung) des 1. Halswirbels (Atlas) gegenüber dem 2. Halswirbel (Axis) bei der Spondylitis ankylosans ein bedeutendes Problem dar (Bechterew-Brief Nr. 52 S. 14–17 und Nr. 71 S. 82–84). Die mechanische Überbelastung der relativ schlanken Segmente der oberen Halswirbelsäule in der ansonsten ankylosierten (knöchern versteiften) Wirbelsäule erhöht das Risiko dieser Komplikation. Ein bedeutsamer Unfall wird von den betroffenen Patienten meist verneint. Jene, die zum Glück keine Nervenausfälle haben, sind dennoch in Gefahr, später ein Rückenmarkleiden zu entwickeln.

Operationstechnik bei einer atlanto-axialen Dislokation

Die chirurgische Korrektur der Dislokation und die künstliche Versteifung dieses Segments vor dem Auftreten neurologischer Probleme ergeben ausgezeichnete Resultate, was die Verschiebung und die Schmerzen anbelangt. Auch wo eine Behandlung zunächst versäumt wurde und bereits eine Rückenmark-Schädigung eingetreten ist, sollte eine Operation in Betracht gezogen werden. Ein noch bewegliches Segment kann mit Hilfe der Magerl-Technik (Verschraubung von hinten) fixiert werden. Eine bereits knöchern fixierte Verschiebung mit Verengung des Rückenmarkkanals stellt eine echte chirurgische Herausforderung dar. Am besten ist es in diesem Fall, die knöcherne Fixierung zunächst von vorne durch den Mund zu lösen und dann die Verschiebung von hinten zu korrigieren und korrekt zu fixieren. Eine Überwachung des Rückenmarks während der Operation ist in diesem Fall unerlässlich.

Operationsergebnisse

In der Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum 31. Dezember 1999 unterzogen sich in unserer Klinik 84 Morbus-Bechterew-Patienten einer Wirbelsäulen-Aufrichtungsoperation. Von diesen Patienten waren 76 männlich und 8 weiblich, entsprechend der stärker ausgeprägten Wirbelsäulenversteifung bei männlichen Patienten (Bechterew-Brief Nr. 74 S. 3–7). 34 Patienten wurden im Bereich der Halswirbelsäule operiert, die übrigen 50 an der Brust- und Lendenwirbelsäule. Der jüngste Patient war bei der Operation 26 Jahre alt, der älteste 78 Jahre. In allen 84 Fällen gelang die Aufrichtung in die horizontale Blickachse. Bei Patienten mit einer schmerzhaften Andersson-Läsion wurde eine dramatische Linderung der Schmerzen erreicht.

Komplikationen

Unter diesen Patienten war kein Todesfall zu beklagen. Leider entwickelte ein Patient einen Tag nach der Operation eine vollständige Querschnittlähmung. Der relativ späte Eintritt dieser drastischen Komplikation und das Fehlen jeglicher mechanischer Ursachen lässt an eine mangelnde Blutversorgung als mögliche Ursache denken. Bei einem weiteren Patienten trat nach der Operation einer schweren, seit langem bestehenden Kyphose im Hals- und Brustwirbelsäulenbereich eine bleibende Minderung des Gefühls und der Kraft im Kleinfingerbereich einer Hand ein. Bei einem Patienten trat eine vorübergehende Lähmung im Bereich der beim 5. Halswirbel austretenden Nerven (Schulterheber) ein. In vier Fällen trat eine vorübergehende Störung des Nervengeflechts ein, von dem die Armnerven ausgehen, verursacht durch die Armhaltung während der Operation. Sie ging innerhalb von 3 Monaten zurück. Bei zwei Patienten trat eine Wundinfektion auf, die nach operativer Öffnung und erneuter Schließung abheilte. Eine Pseudarthrose (Falschgelenkbildung anstelle des Zusammenwachsens der Knochenteile) trat nur bei zwei Patienten auf.

Schlussbemerkung

Die meisten der früher durchgeführten Osteotomie-Verfahren müssen heute als gefährlich und damit als obsolet (überholt) betrachtet werden. Die Einführung minimal-invasiver Techniken und die Verfügbarkeit besserer Implantate (Metall-Einbauteile) erlauben eine dramatische Verbesserung der Operationsergebnisse. Eine Wirbelsäulen-Aufrichtungsoperation ist nach wie vor ein großer chirurgischer Eingriff, aber bei Ausführung durch einen darin erfahrenen Chirurgen führt sie zu einer beträchtlichen Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Patienten.

Anschrift der Verfasser: Klinik für Orthopädie, Wirbelsäulenchirurgie und Querschnittgelähmte, Zentralklinik Bad Berka GmbH, Robert-Koch-Allee 9, 99437 Bad Berka
Quelle: Clinical and Experimental Rheumatology 20 (2002) Suppl. 28 S-101 bis 105 (dort mit ausführlichem Literaturverzeichnis), Patientengemäße Übersetzung durch Prof. Dr. Ernst Feldtkeller in Absprache mit den Verfassern

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