Aus dem Bechterew-Brief Nr. 87 (Dezember 2001)

Kreuzschmerzen – wann steckt eine Entzündung der Iliosakralgelenke dahinter?

von Privatdozent Dr. med. Herbert Kellner und Dr. med. Wolfgang Kellner, Universität München

Chronische Kreuzschmerzen können viele Ursachen haben – an eine Sakroiliitis (Entzündung der Gelenke zwischen Kreuzbein und Darmbein) denken Ärzte dabei meist zuletzt. Im folgenden beschreiben wir die typische Symptomatik und die wichtigsten Untersuchungsmethoden zur Erkennung dieses Schlüsselsymptoms der Spondyloarthritiden (entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen), zu denen auch der Morbus Bechterew gehört.

Bild 1: Übersicht über den Beckenring mit den Kreuzbein-Darmbein-Gelenken (Iliosakralgelenken) , mit deren Entzündung die Spondylitis ankylosans gewöhnlich beginnt.
L = Lendenwirbel, D = Darmbein, K = Kreuzbein, St = Steißbein, SB = Schambein, H = Hüftkopf, SH = Schenkelhals, S = Sitzbein, O = Oberschenkelknochen.
© Quelle: DVMB-Schriftenreihe Heft 1 und 3
Bild 1: Übersicht über den Beckenring mit den Kreuzbein-Darmbein-Gelenken (Iliosakralgelenken)

Bei entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen zählt die Sakroiliitis (Entzündung der Iliosakralgelenke, also der Gelenke zwischen dem Kreuzbein und einem Darmbein, Bild 1) neben Entzündungen der kleinen Wirbelgelenke, der Bänder und der Bandscheiben zu den häufigsten Entzündungsorten im Bereich der Wirbelsäule. Bei der Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) ist sie praktisch zu 100% nachweisbar und gehört hier zu den für die Diagnose wegweisenden Kriterien. Darüber hinaus tritt sie in unterschiedlicher Häufigkeit auch bei allen anderen Spondyloarthritiden auf (Tabelle 1).

Tabelle 1: Häufigkeit der Sakroiliitis (Entzündung der Kreuzbein-Darmbein-Gelenke) bei unterschiedlichen Spondyloarthritiden (entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen)


Typisch: Schmerzen, die sich bei Bewegung bessern

Bei der Befragung nach der Krankengeschichte berichten die Patienten häufig über Schmerzen im Gesäßbereich mit zum Teil erheblicher Schmerzintensität. Es kann zu einer Schmerzausstrahlung in den Bereich der Oberschenkelrückseite kommen. Die Schmerzen können aber in die Oberschenkelvorderseite oder den Leistenbereich ausstrahlen. Charakteristisch für die Sakroiliitis sind im Gegensatz zu anderen in Frage kommenden Diagnosen Schmerzen in der Nacht und in den frühen Morgenstunden. Durch Bewegung, insbesondere Aufstehen aus dem Bett, kommt es zur Besserung. Weitere Kriterien, die für eine Entzündung der Iliosakralgelenke und der Wirbelsäule sprechen, sind in der Tabelle 2 zusammengestellt.

Tabelle 2: Diagnose-Kriterien des „entzündlichen Kreuzschmerzes“

Die Kreuzschmerzen sind vom entzündlichen Typ, wenn mindestens 4 Kriterien erfüllt sind

Ärztliche Untersuchungsbefunde

Bei der ärztlichen Untersuchung fällt meist ein Druckschmerz an einem oder beiden Iliosakralgelenken auf. Die Schmerzen können so ausgeprägt sein, dass das Gangbild des Patienten dadurch beeinträchtigt wird. Charakteristisch, jedoch von geringerem diagnostischem Wert, ist der Nachweis eines positiven Menellschen Zeichens1. Wenn neben den Iliosakralgelenken auch die Wirbelsäule befallen ist, stellt der Arzt eine Beweglichkeits-Einschränkung der Lendenwirbelsäule (Schober-Zeichen2) und der Brustwirbelsäule (Ottsches Zeichen2) fest (Tabelle 3).

Tabelle 3: Wichtigste Befunde bei der ärztlichen Untersuchung

1) Menellscher Handgriff: Test zum Nachweis einer Iliosakralgelenk-Irritation. Der Patient zieht in Seitenlage das untenliegende Bein maximal zum Körper. Der Untersucher überstreckt ruckartig das obenliegende Hüftgelenk. Das Testergebnis ist positiv, wenn ein Schmerz auf der überstreckten Seite auftritt
2) Beim Schober-Zeichen wird die Dehnung der Haut über einem bestimmten Abschnitt der Lendenwirbelsäule bei der Rumpfbeugung gemessen, beim Ottschen Zeichen über einem bestimmten Abschnitt der Brustwirbelsäule.

Ferner wird häufig der Finger-Boden-Abstand, der Hinterhauptwandabstand und die Atembreite (Differenz des Brustumfangs bei größtmöglicher Aus- und Einatmung) gemessen.
Wenn die Entzündung der Iliosakralgelenke auf einer Infektion beruht, können die Schmerzen deutlich ausgeprägter sein und mit Fieber und insgesamt schlechtem Allgemeinzustand einhergehen.

Von welchen Erkrankungen muss die Sakroiliitis unterschieden werden?

Bei der Diagnose muss der Arzt an eine Reihe weiterer Krankheiten denken, die neben der Sakroiliitis in Frage kommen können. Dazu gehören Gelenkerkrankungen, Muskelerkrankungen, Knochenerkrankungen, aber auch Erkrankungen innerer Organe (Tabelle 4). Schwierigkeiten bei der Unterscheidung bereiten häufig degenerative (verschleißbedingte) Veränderungen im Bereich der Iliosakralgelenke, zum Teil verursacht durch eine Fehlbelastung (z.B. bei Skoliose (seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule), Beinlängenverkürzung etc.). Auch bei der Iliosis condensans (Knochenverdichtung im Darmbein) können im Einzelfall Abgrenzungsprobleme entstehen. Infektiöse Ursachen einer Sakroiliitis oder primäre bzw. sekundäre tumoröse (geschwulstige) Veränderungen im Iliosakralgelenk-Bereich sollten bei entsprechender Vorgeschichte und entsprechenden Befunden immer mit in Betracht gezogen werden, sind jedoch zahlenmäßig eher selten.

Tabelle  4: Differentialdiagnose der Sakroiliitis

Was bringt die HLA-B27-Typisierung?

Da die Spondyloarthritiden die häufigste Ursache einer Sakroiliitis darstellen, kommt der HLA-B27-Typisierung als Laborwert eine wichtige Bedeutung zu.
Der Erbfaktor HLA-B27 ist häufig mit den Spondyloarthritiden, insbesondere mit der Spondylitis ankylosans verknüpft (Tabelle 5). Bei Vorliegen einer Spondylitis ankylosans ist in fast allen Fällen ein positives HLA-B27 nachweisbar. Bei den übrigen Spondyloarthritiden liegt die HLA-B27-Häufigkeit zwischen 25% und 75%.

Tabelle 5: Häufigkeit des Erbfaktors HLA-B27 bei unterschiedlichen Spondyloarthritiden (entzündlichen Wirbelsäulenerkrankungen)

In der Normalbevölkerung Mitteleuropas beträgt die Häufigkeit des HLA-B27 5–10%. HLA-B27-positive Mitteleuropäer tragen ein 1–2%iges Risiko, an einer Spondylitis ankylosans zu erkranken. Dieses Risiko steigt auf 10–20%, wenn bei Verwandten ersten Grades bereits eine mit dem HLA-B27 verknüpfte Spondyloarthritis vorliegt (siehe Bechterew-Brief Nr. 49 S. 14 und Nr. 62 S. 14). Eine Erkrankung an einer Spondyloarthritis stellt somit auch für HLA-B27-Positive eine Ausnahme und nicht die Regel dar. Der Nachweis eines positiven HLA-B27 besitzt deshalb nur im Zusammenhang mit anderen Befunden eine diagnostische Bedeutung (siehe Bechterew-Brief Nr. 85 S. 7–9).
Die HLA-B27-Typisierung sollte bevorzugt molekulargenetisch (mit der Polymerase-Kettenreaktion) erfolgen, um die bei der bislang praktizierten serologischenTypisierung aufgetretenen falschpositiven und falschnegativen Befunde auszuschließen.

Wie viel Labordiagnostik ist sinnvoll?

Für die Einschätzung der entzündlichen Aktivität der Sakroiliitis kann die Bestimmung der Entzündungsparameter (Blutsenkung, CRP) hilfreich sein. Bei Vorliegen einer infektiösen Sakroiliitis sollte die Bestimmung eines Blutbilds mit Differentialblutbild erfolgen. Der direkte Erregernachweis kann bei infektiöser Sakroiliitis aus Blutkulturen oder aus einer direkt aus dem Gelenk entnommenen Flüssigkeitsprobe erfolgen. Häufigste Erreger sind Staphylococcus aureus, Streptokokken sowie Pseudomonas-Arten.
Laboruntersuchungen auf Erreger, die Gelenkentzündungen hervorrufen können, sollten nur erfolgen, wenn in der Vorgeschichte oder in den Befunden Hinweise für eine Darm- oder Harnwege-Infektion vorliegen. Die Laboruntersuchungen können hier auf Yersinien, Salmonellen, Campylobacter und Chlamydien beschränkt werden. In der Regel lassen sich nur Antikörper vom IgG-Typ (ein besonders häufiger Typ der Immunglobuline) nachweisen.
Ein Erregernachweis aus dem Stuhl ist zumeist nicht mehr möglich. In Einzelfällen kann ein Chlamydien-Nachweis aus dem Harnröhrenabstrich gelingen.

Ein Fallbeispiel: Sakroiliitis auf Grund eines Morbus Crohn

Ein 24-jähriger Patient kam wegen Schmerzen in beiden Gesäßhälften, die vor allem im Liegen auftraten. Bereits mehrmals sei versucht worden, die chronischen Beschwerden abzuklären.
Bei einer Computertomographie der Lendenwirbelsäule sei ein kleiner Bandscheibenvorfall aufgefallen. Die Laborwerte seien immer "normal" gewesen. Der Patient berichtete auf Nachfrage, dass er immer wieder an Durchfall leiden würde. Gelegentlich habe er Blut und Schleim im Stuhl bemerkt.
Bei der Untersuchung des Patienten fiel ein deutlicher Druckschmerz über beiden lliosakralgelenken auf. Die Wirbelsäule war in allen Abschnitten altersentsprechend beweglich. Die Laboruntersuchungen zeigten ein positives HLA-B27, eine erhöhte Blutsenkung (20:32). Der Test auf Blut im Stuhl fiel positiv aus.
Eine Darmspiegelung ergab den Befund eines aktiven Morbus Crohn. Die Röntgenaufnahme der Iliosakralgelenke zeigte eine fragliche Unschärfe an der rechten ISG-Fuge. Kernspintomographisch konnte eine beidseitige Sakroiliitis nachgewiesen werden. Die Beschwerden des Patienten beruhten somit auf einer Sakroiliitis als Begleitsymptom eines Morbus Crohn.

Therapie der Sakroiliitis: NSAR richtig einsetzen!

Ebenso wie die Diagnostik der Sakroiliitis stellt auch die Therapie oft eine medizinische Herausforderung dar. Die Behandlung basiert sowohl auf einer systemischen (im ganzen Körper wirksamen) entzündungshemmenden Therapie als auch der örtlichen Anwendung von Corticosteroiden. Daneben spielen die Krankengymnastik und physikalische Therapien eine erhebliche Rolle.
Zunächst sollte versucht werden, eine entzündungshemmende Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) durchzuführen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Dosis ausreichend hoch gewählt wird. In vielen Fällen ist eine Dosierung im höheren Dosisbereich erforderlich. Es sollte ein individuell für den Patienten verträgliches und wirksames NSAR gefunden werden. Aufgrund der meist nächtlichen Beschwerden muss oft ein individuelles Dosierungsschema angewandt werden (z.B. späte Gabe der Abenddosierung, nachts Retardformen, siehe Bechterew-Brief Nr. 83 S. 3–11). Seltener kommen systemisch auch reine Analgetika (Schmerzmittel) oder Muskelrelaxantien (muskelentspannende Mittel) zum Einsatz (siehe z.B. Bechterew-Brief Nr. 64 S. 17 und 19).

Der Stellenwert von Corticosteroiden und Basistherapeutika

Corticosteroide können örtlich in das Iliosakralgelenk gespritzt werden. Die Injektion sollte allerdings nur unter Kontrolle mit bildgebenden Methoden (Computertomographie, Kernspintomographie, siehe Bechterew-Brief Nr. 65 S. 7–10) durchgeführt werden.
Bei chronischen Verlaufsformen kann der Einsatz von „langfristig krankheitsmodifizierenden Medikamenten“ (Basistherapeutika, insbesondere Sulfasalazin, Methotrexat, siehe Bechterew-Brief Nr. 78 S. 3–6) diskutiert werden. Bei reinem Befall des Achsenskeletts, insbesondere der Iliosakralgelenke, ist die Erfolgsaussicht dieser über einen längeren Zeitraum durchzuführenden Therapien jedoch als eher gering einzuschätzen. Erfolgversprechend sind solche Therapien insbesondere bei Patienten mit Befall peripherer Gelenke (außerhalb der Wirbelsäule).
Von der Einnahme systemisch (auf das ganze Körpersystem) wirksamer Corticosteroide sollte aufgrund des ungünstigen Verhältnisses von Nutzen und Nebenwirkungen bei Spondyloarthritiden abgesehen werden.

Krankengymnastik früh und regelmäßig!

Der Patient sollte frühzeitig an Krankengymnastik herangeführt werden. Die regelmäßig durchgeführte Krankengymnastik soll insbesondere die Beweglichkeit des Patienten auch bei chronischem Verlauf sicherstellen. Hierzu ist eine regelmäßige Ausübung (z.B. in einer krankheitsspezifischen Morbus-Bechterew-Therapiegruppe) empfehlenswert.
Ferner können bei Patienten mit Iliosakralgelenkentzündung sowohl örtliche als auch systemische Anwendungen physikalischer Therapien sinnvoll sein (z.B. Wärme, Kälte, Elektrotherapie, Ultraschall). In akuten Krankheitsphasen sollte von Wärmeanwendungen jedoch Abstand genommen werden.
Bei infektiösen Sakroiliitiden kommen frühzeitig Antibiotika zum Einsatz. Hier sollte möglichst nach Antibiogramm (Austestung im Labor, welches Bakterium auf welches Antibiotikum empfindlich ist und gegen welches resistent) gezielt und langfristig (bis zu drei Monaten) therapiert werden. Es ist dabei auf die Knochengängigkeit der verwendeten Präparate zu achten.
Künftig könnten auch Anti-Zytokin-Behandlungen nützlich werden. Erste erfolgversprechende Beobachtungen zur Therapie von Spondyloarthritiden mit Anti-TNF-alpha-Antikörpern liegen vor (siehe Bechterew-Brief Nr. 81 S. 7–13 und Nr. 82 S. 15–16).

Fazit:
Die Sakroiliitis ist aufgrund oft unspezifischer Symptome in frühen Krankheitsstadien nicht leicht zu diagnostizieren. Die vom untersuchenden Arzt gestellte Arbeitsdiagnose muss deshalb durch Labor- und bildgebende Diagnostik untermauert werden.
Therapeutisch steht die Gabe von nichtsteroidalen Antirheumatika im Vordergrund.

Bechterew-Brief Ende

Anschrift des erstgenannten Verfassers:
Rheumaeinheit der Universität, Pettenkoferstraße 8a, D-80336 München,  Kellner@medpoli.med.uni-muenchen.de

Quelle: MMW-Fortschritte der Medizin, Jahrgang 142 (2000) Nr. 41 S. 30-34. Das Bild 1 wurde von der Bechterew-Brief-Redaktion eingefügt

Anmerkung der Bechterew-Brief-Redaktion: Ob eine Entzündung der Iliosakralgelenke als Indiz für eine Spondylitis ankylosans gewertet wird oder als Indiz für eine undifferenzierte Spondyloarthritis (siehe Bechterew-Brief Nr. 77 S. 9–11), hängt vom Grad der Sakroiliitis ab. Wie dieser Grad durch bildgebende Diagnoseverfahren bestimmt wird, erfahren Sie von denselben Verfassern in einem unserer nächsten Hefte